Robert Ryman und Urs Raussmüller, 2006. Foto: Ruth Clark, © Raussmüller.

 

In memoriam Robert Ryman

Ausschnitte aus einem Gespräch mit Urs Raussmüller, 2006

«Rymans Werke sind Ausdruck eines meisterhaften Umgangs mit den Möglichkeiten der Malerei. Diese Möglichkeiten bringt er mit unübertroffener Konsequenz zur Wirkung. Die grosse Bedeutung dieses Künstlers liegt in der unbeirrten Umsetzung seiner Vorstellung der Wirkungsweisen von Gemälden. Ryman nutzt die Möglichkeiten der Malerei ohne verkrampfte Perfektion und ohne theoretisches Konzept. Das gibt seinen Werken Lebendigkeit und macht sie zeitlos und interessant.

Wesentlich ist, dass Ryman die traditionellen Materialien der Malerei um die realen Materialien Licht und Raum erweitert hat. Natürlich haben Licht und Raum für die Malerei immer schon eine Rolle gespielt, aber nicht in einer derart direkten, physischen Form. Bei Ryman wird das einfallende Licht effektiv zu einem Bestandteil der durch die Art des Farbauftrags gestalteten Oberfläche – und das ist in dieser Weise neu. Die subtile und unprätentiöse Verbindung von Rymans Gemälden mit ihrer Umgebung stellt für die Möglichkeiten der Malerei eine weit reichende Öffnung dar.

Wenn man mich nun fragt, ob denn solche Aspekte angesichts der bestehenden sozialen oder politischen Probleme wirklich von Belang sind, dann muss ich sagen, dass ich nichts kenne, was wichtiger wäre als die Steigerung unseres Wahrnehmungsvermögens, wie das Erleben von Rymans Gemälden sie auslöst. Das hat jetzt nichts mehr mit Ästhetik oder abgehobenem Kunstgenuss zu tun. Hier geht es klar um grundsätzliche Fähigkeiten zur Differenzierung und darum, ein möglichst breites Bewusstsein für diese Fähigkeiten und ihre Nutzung auszulösen. Gerade mit dieser Wirkung halte ich Rymans Werk für hoch aktuell.»

 

Urs Raussmüller lebt seit den 1970er Jahren mit Gemälden von Robert Ryman und kennt wie kaum ein anderer ihre Beschaffenheiten und Wirkungsweisen. Er hat – oft zusammen mit Ryman – zahlreiche internationale Ausstellungen und Einrichtungen realisiert und damit ein Bewusstsein für die wegweisende Bedeutung des Künstlers geschaffen. Gemeinsam mit Christel Raussmüller Sauer hat er Institutionen errichtet, in denen er Rymans Werke über Jahrzehnte zu einer intensiven Erfahrung brachte. Raussmüllers haben Bücher und Kataloge zu Ryman publiziert und waren dem Künstler in langer Freundschaft verbunden. Am 8. Februar 2019 ist Robert Ryman im Alter von 88 Jahren in New York verstorben.

Robert Ryman and Urs Raussmüller, 2006. Photo: Ruth Clark, © Raussmüller.

 

In memoriam Robert Ryman

Excerpts from a conversation with Urs Raussmüller, 2006

“Ryman’s works are expressions of a masterly use of the possibilities of painting. He uses these possibilities to great effect with unsurpassed consistency. The great importance of this artist lies in the fact that he unswervingly implements his ideas about the variety of effects that paintings can unfold. Ryman exploits the possibilities of painting without strained perfectionism and without a theoretical concept. It imbues his works with the vitality needed to make them interesting.

What is essential is that Ryman has extended the traditional materials of painting by adding the real materials of light and space. Needless to say, light and space have always had an importance in painting, but not in such a direct, physical way. With Ryman, the incident light effectively becomes a component of the surface the artist creates by the way he applies the paint, and this is new. The subtle and unpretentious way Ryman’s paintings combine with the givens of their surroundings signals a major opening for the possibilities of painting.

Were you now to ask me if such effects are of any real significance given the prevailing social or political problems, then I would have to say that I know nothing which is more important than heightening our capacity to perceive the way the experience of Ryman’s paintings does. This has nothing more to do with aesthetics as such, or with the detached enjoyment of art. It clearly has to do with a fundamental capacity to differentiate, with stimulating the broadest possible awareness of that capacity, and of course with its use. It is precisely because of that potential that I regard Ryman’s oeuvre as highly relevant.”

 

Urs Raussmüller has been living with paintings by Robert Ryman since the 1970s and knows their qualities and effects like no other. He has realized – often together with Ryman – numerous international exhibitions and installations, thus creating an awareness of the artist’s groundbreaking significance. Together with Christel Raussmüller Sauer, he has established institutions in which he has brought Ryman’s works to an intensive experience over decades. Raussmüllers have published books and catalogues on Ryman and were bound to the artist by a long and close friendship. Robert Ryman died in New York on 8 February 2019 at the age of 88.