Bruce Nauman
Flour Arrangements, 1966
Angezogen von den amorphen weissen Gebilden auf grünlichem Grund nähern sich die Betrachter den 7 Fotografien um herauszufinden, was sich hier dargestellt findet. Manche sehen Inseln im Meer, andere moderne Architektur – in jedem Fall scheint es sich um Aufsichten aus einer gewissen Distanz zu handeln, vermutlich, so meint man, um Luftaufnahmen.
Doch auch die Betrachtung aus der Nähe löst die Irritation kaum auf. Also sucht man die Erklärung, indem man nach dem Titel fragt. Die Antwort hilft nicht jedem weiter, denn ein flower arrangement sieht man wirklich nicht. Bis dann die klärende Einsicht kommt, dass nicht von Blumen (flower), sondern von Mehl (flour) die Rede ist. Nauman hat das weisse Material auf dem Boden seines leer geräumten Studios immer wieder zu neuen Formen angeordnet und anschliessend fotografiert. Die Gebilde auf den Fotos – viel kleiner als zunächst erwartet – sind also das Ergebnis eines plastischen Akts. Doch dieser ist noch nicht das Werk, ebenso wenig wie es die 7 ausgewählten Fotos sind. Das Werk ist der alles umfassende Prozess: von der überlegten Anordnung des Mehls über die fotografische Fixierung der Formen und die Verbindung der Bilder mit dem irreführenden Titel – bis zum Erkenntnisvorgang im Bewusstsein der Betrachter.
Das „Flour Arrangement“ ist in der Kunstentwicklung ein Meilenstein und exemplarisch für Naumans grosse Wirkung auf die nachfolgenden Künstlergenerationen. Erstmals und ohne Vorbild hat er die Fotografie als ergänzendes künstlerisches Medium eingesetzt und mit verblüffend einfachen Mitteln eine doppelte Verfremdung erzeugt: Durch das Fotografieren seiner Mehlgebilde hat er die Erkennbarkeit ihrer Materialität und Dimension reduziert und mit dem Wortspiel im Titel zusätzlich ihr Verständnis erschwert. Nauman hat damit eine Herausforderung an die Wahrnehmung geschaffen, welche die Betrachter fast gegen ihren Willen zwingt, die Verwirrung aufzulösen. In kaum einem anderen Werk finden sich Material und Medien so lapidar und treffsicher zugleich für die Erzeugung einer Irritation eingesetzt, die aus den Betrachtern Mitspieler in einem vom Künstler bestimmten Vorgang macht. – Die 7 Farbfotos existieren nur als dieses Unikat.
Sie finden den ausführlichen Text “Bruce Nauman: Flour Arrangements, 1966” (2017) von Christel Sauer auf unserer online Plattform Raussmüller Insights.Bruce Nauman
Flour Arrangements, 1966
Attracted by the amorphous white shapes on a greenish background, the viewers approach the seven photographs to discover what is being represented here. Many see islands in the ocean; others see modern architecture. In any case, they seem to be photos taken from a certain distance – probably, one could assume, aerial shots.
However, even looking at them from up close doesn’t serve to alleviate the irritation. So you search for an explanation by asking for the title. The answer doesn’t help everyone, because you really don’t see flower arrangements. Until the moment of insight occurs: it’s not about flowers, but rather flour. Nauman constantly rearranged the white material on the floor of his vacated studio into new forms and then photographed them. The shapes on the photos – much smaller than you expect at first – are thus the result of a sculptural act. But this isn’t the actual work yet; the seven selected photos aren’t the work either. The actual work is the all-encompassing process: from the premeditated arrangement of the flour to the photographic recording of the shapes and the connection of the images with the misleading title… on up to the process of insight in the viewer’s consciousness.
In the development of art, the “Flour Arrangement” is a milestone, and it is exemplary for Nauman’s great influence on younger artists. For the first time, and without a precursor, he introduced photography as a complementary artistic medium and, with surprisingly simple means, created a double disassociation. By photographing his flour arrangements, he reduced the recognizability of its materiality and dimensions. With the play on words in the title, he also made it harder to understand. Nauman thus creates a challenge for perceiving the work that almost forces the viewer to relieve the confusion. Hardly another work exists in which materials and media are used in such a simultaneously succinct and accurate way to create an irritation that turns the viewers into participants in an artist-defined process. – This is the only existing edition of these seven color photos.
Read the extensive text “Bruce Nauman: Flour Arrangements, 1966” (2017) by Christel Sauer on our online platform Raussmüller Insights.